Cembali bewerten

„Wenn alle Teile eines Musikinstrumentes im Verhältnis zu einander gestimmt sind, wird das Ganze unbeschreiblich köstlich und lebendig“
K. R. Hill

 

Nachdem ich einen Artikel über die Bewertung eines Clavichordes geschrieben habe, schreibe ich jetzt einen, der sich auf Cembalo bezieht. Da letzteres ein viel weiter verbreitetes Instrument ist, würde es nahe liegen, dass es wenig Bedarf dafür gibt. Tatsächlich muss ich aber leider immer wieder feststellen, wie oft in der Bewertung visuelle Kriterien ein vorherrschendes Gewicht haben. Weil Sicht für Menschen der wichtigste Sinn ist, überrascht dies doch wenig und wenn jeder nur sein wunderschönes Instrument in sein Zimmerchen liebkosen würde, gäbe es auch keine Einwände.
Da Cembali aber nicht selten vor einem Publikum gespielt werden und Musik reine Klangkunst ist, wenn ich Instrumente bei Konzerten hören muss, die wohl mehr für das Auge als für das Ohr gemacht wurden, werde ich doch ein bisschen verärgert. Wenn dir dies auch passiert ist und im Grunde auch so denkst, nimm dein Publikum zu Herzen und spiele nur auf Instrumenten, die es wert sind, gehört zu werden. Deshalb möchte ich hier zumindest einige Anweisungen geben, um Instrumente durch klangliche Kriterien zu bewerten. Es wird nicht ausreichen, dies Artikel bis zum Ende zu lesen, um Experten zu werden; aber irgendwo muss man auch beginnen.

Die umfassendste (und grundsätzlich auch die einzige) Behandlung, die ich jemals zu diesem Thema je gefunden habe, ist im zweiten Kapitel von „Treatise on the True Art of Making Musical Instruments“ von meinem lieben Meister Keith Hill enthalten. Sei es wegen des Glaubens, Klang sei ein völlig subjektives Thema; sei es wegen der Leichtigkeit, mit der man Kritik auf sich zieht; sei es vielleicht wegen der Schwierigkeit, Klang genau zu beschreiben, hat sonst niemand so viel Raum den Eigenschaften guter Instrumente gewidmet: sei dies Herrn Hill anerkannt. Ich möchte hier einen kurzen Text vorlegen, mit dem alle etwas anfangen können und ich rate denjenigen, die das Argument vertiefen wollen, auch seinigen zu lesen.

Um das Ohr zu erziehen, schätze ich von großer Bedeutung, gute Aufnahmen auf historischen Instrumenten anzuhören. Glücklicherweise gibt es für Cembalo mehrere Schallplatten und CD auf Originalinstrumenten und das Niveau ist im Allgemeinen befriedigend. Schade nur, dass Aufnahmen nicht häufiger auf Originalen erfolgen, aber die Erklärung ist ganz einfach: in einem Museum aufzunehmen, zwischen Öffnungszeiten, Verkehr und verschiedene Einschränkungen wird es für den Musiker alles andere als bequem.
Wenn man sich jedoch die Mühe gibt, aufmerksam zu lauschen, bemerkt man, wie intensiv, klar, solide, brillant, resonant, frei, tiefatmend und fast vokaler Charakter der Klang der historischen Cembali ist. Merkwürdigerweise begegnet man diese Eigenschaften, trotz der klanglichen Unterschiede, in allen vortrefflichen Instrumenten der verschiedenen Bauschulen.

Wie ich für Clavichorde empfahl, ist auch hier mein erster und wichtigster Rat, sich auf Klang und Anschlag des Instruments zu konzentrieren und sich nicht vom Aussehen beeinflussen zu lassen.
Wenn es keinen Grund auf der Welt gibt, warum das Bier mit dem tollsten Etikett auch tatsächlich am besten schmecken soll, wieso sollte dann doch das dekorierteste Cembalo das beste sein? Im Wahrheit ist es oft nicht.
Versuche man auch nicht gleich sich als Instrumentenbauer oder Organologe zu improvisieren, indem man versucht eine unfehlbare Gesamtbewertung eines Cembalos aus diesem oder jenem konstruktiven Detail zu extrapolieren. Am besten tut man im Gegenteil was man als Musiker wirklich gut können sollte: spielen und zuhören. Man gewöhne sich daran, die Augen zu schließen und nur Ohren und Fingern zu vertrauen: für einige wird es ganz natürlich sein, während andere sich zunächst unsicher fühlen werden. Aber keine Angst: wenn man sich weiterhin bemüht aufmerksam zuzuhören, kann man gewiss nicht scheitern und mit der Zeit wird man immer kompetenter.

Ein Hauptunterschied zwischen Cembalo und Clavichord oder Orgel liegt darin, dass im Cembalo der Anschlag überwiegend durch die Bekielung bestimmt wird und nur seltener hängt eine unangenehme Spielweise von konstruktiven Details ab. Da Intonation leicht zu ändern ist, obwohl eine der ersten Elemente, die man beim spielen bemerkt, empfehle ich sie vorerst hauptsächlich im Bezug auf den Rest zu betrachten. Vor allem beachte man das Verhältnis zwischen Widerstand, der beim Zupfen entsteht, und erzeugten Klang, denn gute Instrumente füllen das Ohr und erzeugen genügend Volumen auch wenn sie leicht bekielt sind. Schlechte Instrumente hingegen klingen in der Regel eher leise, und wenn man sie laut intoniert, um die Lautstärke zu erhöhen, erzeugen sie einen schmutzigen und groben Klang. Im Allgemeinen soll man gedenken, dass eine laute Intonation erhöht sowohl Lautstärke als Geräusch, während eine schwache macht den Klang sauberer und reiner, aber auch leiser und energieloser. Die beste Bekielung ist von mir aus diejenige, die süß und schmeichelhaft genug für ein Cantabile ist und dabei aber noch laut und temperamentvoll genug für ein Allegro ist.
Die Bewertung eines Instruments für nur ein Konzert ist wohl heikler, weil man die Intonation meistens nicht ändern kann und so ist es zu einem gewissen Grad notwendig, dass der Anschlag schon angenehm genug ist, um sich rasch daran zu gewöhnen.

Was den Klang betrifft, so muss zunächst ein gutes Cembalo eine gute Klangpräsenz haben und man soll nicht glauben, dass Cembali leise klingen sollen. Auch mit einem einzigen Register muss das Volumen gut sein: wenn man immer das volle Werk braucht, um sich hören zu lassen, dann ist das Instrument nicht viel „gscheids“.
Der Klang eines guten Cembalo ist auch gut strukturiert und wird daher auch in Entfernung laut und deutlich wahrgenommen, als wäre es näher als es wirklich ist; stattdessen bei mittelmäßigen Instrumenten, macht man ein paar Schritte und schon ist der Klang zum Teil verloren und verwirrt.

Obwohl der Klang doch lange andauern kann, ist in einem guten Instrument die Klarheit und Unterscheidung jeder Note garantiert, egal wie sehr Legato man spielt. Dies macht Musik verständlich, und wenn diese Klarheit fehlt, überschneiden sich alle Töne: dies wird wiederum oft kompensiert indem man bei schnelle Sätze alles getrennt wie beim Maschinenschreiben spielt, und dies ist musikalisch wirklich unerträglich.

Der Klang eines guten Instruments ist gut ausbalanciert zwischen Brillanz und Resonanz; weil aber Glanz auf einem Instrument mit Metallsaiten leicht zu bekommen ist, muss der Hersteller alles tun, um die richtige Resonanz zu erzeugen.
Die angenehmste Brillanz ist diejenige, in der die tiefsten Obertöne eine dominierende Rolle spielen und damit auch gleichzeitig das Gefühl des Grundtons verstärken. Auf der anderen Seite, wenn die höchsten Frequenzen dominieren, taucht eine fundamentlose Helligkeit auf, die bald ermüdet; leider findet man einen solchen hellen, substazlosen Klang in vielen modernen Cembali.
Ein gutes Cembalo hat daher einen soliden und intensiven Klang mit einer definierten harmonischen Struktur, die unser Ohr ohne jegliche Anstrengung wahrnimmt; andererseits erschweren in mittelmäßigen Instrumenten der Mangel an Fundament und der hohe Anteil an Geräusch die Wahrnehmung der Tonhöhe. Dies ist wohl keine Hilfe beim Stimmen, erschwert aber auch den Solisten die Intonation.

Dies sind grundlegende Merkmale eines guten Cembalo, die in schlechte Instrumente fehlen. Was wirklich ausgezeichnete Cembali von anderen trennt, ist der Eindruck, das Instrument würde sich vollständig aktivieren: dass es also nicht nur ein Möbelstück sei, aus dem Klang herauskommt, sondern dass jeder Teil davon im Klang mitwirke. Darüber hinaus ist der Klang der besten Instrumente keineswegs statisch: er gibt das Gefühl sich auszudehnen wie in einer Art „messa di voce“. Nach dem Anzupf zerfallen rasch Geräusch und hohe Frequenzen, während gleichzeitig Grundton und untere Teiltöne in etwa einer halben Sekunde das Maximum erreichen: dies vermittelt das Gefühl, der Klang „blühe auf“. In den besten Instrumenten kann man in der Folge noch weitere Höhepunkte während des Zerfalls identifizieren, die noch mehr dazu beitragen der Klang lebendig zu machen.
Schließlich wissen diejenigen, die vortreffliche Instrumente ausprobiert haben, dass man, wegen Klangs, Charakters und Lebendigkeit, vom spielen nie genug haben kann.

Bezüglich Improvisation, gilt was ich schon im Text über Clavichorde schrieb: ein gutes Instrument inspiriert musikalische Ideen und scheint alles möglich und erreichbar zu machen, während ein mittelmäßiger Cembalo unsere Unzulänglichkeit fast bloßstellen zu wollen scheint. Im ersteren Fall wird das Instrument zu einer Erweiterung unseres Körpers und alles scheint auf natürliche Weise zu geschehen; im zweiten Fall müssen wir kämpfen, um auch nur ein wenig Ausdruck in der Musik zu bringen.

Dies sind einige der grundlegenden Elemente für die Beurteilung eines Cembalos. Für diejenigen, die einen vollständigen Überblick möchten, füge hier, mit freundlicher Genehmigung des Autors, eine zusammenfassende Tabelle der Eigenschaften, die gute, beziehungsweise schlechte Instrumente aufweisen:

GOOD INSTRUMENT BAD INSTRUMENT
Superior carrying power No carrying power
Great clarity Mushy, indistinct sound
Strong resonance No real resonance, althought possibly boomy
Refreshing brillance Tiring brightness
Intense, but without being overbearing Unintense and indifferent sounding
Responsive to changes in color Unvarying sound color
Singing,ringing, yet dry tone Flat, energyless sound
Even resonance in each register Uneven sound across registers
Easy articulation Difficult to play articulately
Paradoxical character No character
Strong, pronounced bloom No bloom
Refined, beautiful sound Nice sound at best; usually coarse
Solid, focused core to the sound A diffuse, unfocused sound
A strong impression of being alive Dead, like a piece of ordinary furniture
Stimulates and endless source of ideas Stimulates a dearth of ideas
Easy to play A struggle to play
Highly dimensional Just a pitch with a timbre
Encourages musical playing Masks musical playing
Easy to tune because the sound is well structured Difficult to tune because the sound is poorly structured
A sound that is easily shaped A sound that resists being treated
Has a vocal or “speaking” quality Merely a sound

K. R. Hill, Treatise on the True Art of Making Musical Instruments, 2018, S. 9

Am Ende dieses Artikels weiß ich bereits, dass einige Leute sich denken werden ich habe einige Eigenschaften absichtlich übertrieben. Leider ist es aber vielmehr, dass eine solche Qualität kaum anzutreffen ist, weil wirklich ausgezeichnete Instrumente leider sehr selten sind. Wenn sich jemand die Mühe geben würde etwa Ebert- oder Schnitger-klang sorgfältig zu beschreiben, würde ein solcher Text auch ganz fremd wirken, weil gewisse Umstände nicht gleich auf dem ersten Blick auffallen, zumal das aufmerksame Hören bedauerlicherweise den Clavierspieler heute oft nicht beigebracht wird.
Das heißt aber auch nicht, dass Klangqualität, mit der wir im Alltag kaum im Kontakt kommen, gar nicht gibt: historische Cembali, die von kompetenten Menschen restauriert und gepflegt wurden, haben in der Regel viele oder gar alle dieser Eigenschaften. Das verleiht ihnen jene starke Persönlichkeit, die wir beim spielen so gerne spüren. Moderne Instrumente hingegen, auch wenn technisch perfekt, nähern sich nur selten beschriebenen Klangqualitäten. Und in der Regel je sauberer sie technisch sind, desto weniger Persönlichkeit und Charme zeigen sie auch. Ich weiss dies wird man mir nicht gleich billigen und braucht man es auch nicht: wenn man nur lange genug mit Ohren und Finger die Instrumente bewertet, wird sich jeder seine Meinung dazu bilden.

Es gibt auch keinen Grund, pessimistisch zu sein, und in der Tat hat sich die Qualität der Instrumente im Laufe der Jahre langsam verbessert. Auch aus diesem Grund habe ich diesen Text geschrieben und wende mich nun an dem Leser: spiele und höre Sie so viele Originalinstrumente wie möglich; lerne die Eigenschaften eines guten Cembalo zu erkennen und suche konsequent das Beste für dich und dein Publikum. Nur auf diese Weise kann sich die Qualität der Instrumente kontinuierlich verbessern.