Geschichte des Clavichordes

Man wird sich vielleicht fragen, was braucht es eine Seite der Entwicklung des Clavichordes zu widmen. Schließlich ist es kein heißes Thema und andererseids gibt es gute Bücher, wie das von Bernhard Brauchli, die es zusammenfassen.
Leider muss ich meiner Erfahrung immer wieder feststellen, wie das Clavichord, obwohl es fast 500 Jahren lang eines der beliebtesten Tasteninstrumente war, immer noch wenig bekannt ist. Selbst die meist kopierten Modelle beschränken sich auf 3 oder 4 Namen des späten 18. Jahrhunderts und über die technische Entwicklung des Instruments ist fast nie die Rede.
Mit diesem kurzen Text möchte ich den Liebhaber ein allgemeines Bild geben und sie zugleich neugierig machen, noch mehr zu erfahren. Auch für alle, die daran interessiert sind, ein Clavichord zu kaufen, kann diese kurze Lektüre ein bisschen erklären, was man sich vernünftig von jeder Art von Clavichord erwarten kann (oder nicht).

Gelegentlich hört man, dass Clavichorde in der Vergangenheit die gleiche Funktion hatten wie heute das Wandklavier. In diesem vertrauten Vergleich verbirgt sich jedoch die Gefahr, seine Rolle zu reduzieren. Obwohl es wahr ist, dass es das Hauptinstrument des Heimmusizierens war, stimmt es aber auch dass seine Bedeutung nicht nur auf dies beschränkte. Im Übrigen kann das Wandklavier weder auf fünf Jahrhunderte technischer Evolution zurückblicken, noch hat kein Blühen einer eigenen Literatur erlebt und war wohl nie das Hauptinstrument der Komponisten.

Eines der größten Hindernisse für die Wertschätzung dieses Reichtums kommt heute von der Seltenheit an qualitativ guten Instrumente.
Einerseits wird es immer schwieriger, Instrumente in den Museen zu spielen; Paradoxe ist, dass es in der Tat viel mehr Schäden an den Instrumenten von den verschiedenen „Restauratoren“ angerichtet wurden, als von gelegentliche Spielern wie Du und ich. Darüber hinaus liegen oft historische Clavicorde in einem Zustand (zb. falsche Stimmhöhe oder Besaitung), der Anschlag und Klang verdirbt. Von den historischen Instrumente, die ich bis jetzt spielen oder hören durfte, gaben mir nur einige ein Bild von dem, was der ursprüngliche Klang war. Bei anderen lag eher eine fehlhafte Wiederinstandsetzung auf der Hand.
Andererseids sind moderne Kopien leider oft noch schlimmer. Ein Grund dafür ist auch, dass die Nachfrage eher gering ist, so dass es für Hersteller schwierig ist, Möglichkeit und Interesse zu haben, sich auf die spezifischen Probleme dieses Instrumentes zu spezialisieren. Oft werden darum technischen Lösungen aus Cembalo- oder Klavierbau aufgenommen, die aber für Anschlag und Klangproduktion am Clavichord ungeeignet sind.

Versuchen wir uns vorzustellen, eines der ältesten erhaltenen Clavichorde zu spielen (ca. 1540) und es dann mit einem der neuesten (ca. 1840) zu vergleichen: es wäre bald ersichtlich, dass die Unterschiede für den Spieler vergleichbar, wenn nicht größer sind, als die zwischen die Ebert-Orgel und eine Cavaillé-Coll. Trotz seiner fast gleich gebliebene äußeren Form wurde also an dieses kleine Instrument ununterbrochen experimentiert.

Clavichordplan ca. 1440

Das Clavichord wurde im 14. Jahrhundert erfunden, wie ikonographische Beweise belegen; die ersten detaillierten technischen Beschreibungen stammen aber aus dem folgenden Jahrhundert. Die Instrumente aus dem 15. Jahrhundert waren im Allgemeinen eher klein und klangen etwa eine Oktave höher als die heutigen. Sie hatten einen langen, schmalen Resonanzboden unter der Tastatur und einen hohen, cello-artigen Steg. Die Tastatur, von ca. 3 Oktaven, ragte aus dem  Gehäuse und bis zu 4 Tasten schlugen das gleiche Saitenchor.
Wenn man eine Saite an verschiedenen Stellen schlägt, teilt man ihre Länge unterschiedlich auf und kann man also, wie auf einer Gitarre, mehrere Noten von ihr erzeugen. Clavicorde mit dieser Eigenschaft werden „gebunden“ genannt und wurden während der gesamten Zeitspanne des historischen Clavichordbaus gebaut. Der Nachteil mehrerer Bindungen ist, dass einige Töne, in Entfernung einer Sekunde, nicht zusammen gespielt werden können; aber auch in andere Passagen muss man vorsichtig sein, und eine Taste richtig loslassen bevor man die nächste spielt. So ist es im Grunde auf diese Instrumente kein dichtes „romantisches“ Legato zu spielen.

Renaissance Clavichord

Im Laufe der Zeit begann man ein Teil des Resonanzboden höher zu bauen zu werden und eins oder mehrere niedrige Stege wurden verwendet; Auf diese Weise war es möglich, Clavicordes auch als Quart- oder Quintinstrumente zu bauen, die zu den beliebsten im 16. Jahrhundert gehörten. Das Instrument weitete sich leicht aus: der Umfang könnte von etwas mehr als drei bis zu viereinhalb Oktaven reichen. Es blieben Bindungen in Gruppen von 3 und 4 Töne (mehrfach gebunden), zusammen mit ausspringende Tastatur und dem sogenannten Claviaturresonanzboden unter den Tasten.

Clavichord ca. 1620

Das 17. Jahrhunderts war im Clavierbau besonders experimentierfreudig und wurden dabei fast alle technischen Neuerungen des folgenden Jahrhunderts gelegentlich ausprobiert: das Claviaturresonanzboden wurde aufgegeben und der Steg bekam die krumme Form, die uns heute vertraut ist. Die Tastatur wurde in das Gehäuse integriert indem man es nun breiter baute und der Umfang stabilisierte sich meistens auf den klassischen 45 Tasten. Neben Clavichorde in höheren Lagen klangen viele Instrumente jetzt auf gewöhnlicher Tonhöhe (zumeist Chorton), obwohl sich die Gesamtabmessungen nicht radikal änderten.

Clavichord ca. 1680

Im siebzehnten Jahrhundert ging es allmählich vom mittelalterlichen System mit drei- und vierfachen Bindungen, zu regelmäßigere Gruppen von 3 Noten (dreifach gebunden); schließlich setzten sich um ca. 1680 die klassischen diatonischen Bindungen durch (zweifach gebunden). In diesem System hat jede Weißtaste sein eigenes Saitenchor, und die Schwarztasten sind an die nächste Note gebunden (das typische Beispiel ist: c+cis , d , es+e, f+fis, g+gis, a, b+h). Dies ist in vielerlei Hinsicht das vorteilhafteste System, denn mit nur 7 Paar Saiten pro Oktave stoßt man fast nie auf problematische Passagen.

Clavichord ca. 1700

Im 18. Jahrhundert wuchs der Umfang schrittweise von 45 Tasten bis auf mehr als 5 Oktaven. Die äußere Form veränderte sich nicht wesentlich, zugleich mit dem Umfang nahm aber auch die Größe zu und der Stimmstock wurde oft in zwei Abschnitten gebaut. Ab ca. 1730 findet man immer häufiger bundfreie Instrumente, d.h. mit einem Saitenchor pro Taste.
Die praktische Vorteile eines gebundenen Clavichordes sind, dass es kompakter, stabiler und schneller zu stimmen ist. Der Hauptnachteil liegt darin, dass Töne auf die gleichen Saiten nicht zusammen gespielt werden können. Darüber hinaus fünktionieren Bindungen nur für die Temperatur, die man während des Baus bestimmt hat. Diese soll man aber nicht als unüberwindliche Probleme ansehen, vor allem wenn von diatonisch gebundene Instrumente die Rede ist: auf praktische Ebene lässt sich das aller meiste Repertoire tadellos spielen und in der Tat wurden solche Clavichorde bis ins frühe 19. Jahrhundert weiter gebaut.
Bundfreie Clavichorde haben also keine Einschränkungen bezüglich Artikulation, Zusammenspiel von Töne, und so weiter; dies kommt aber zu einen Preis, denn sie sind größer, schwerer und weisen oft einen nicht so direkten Klang auf, wie ältere Instrumente.
Aufgrund der zusätzlichen Spannung wurde die Struktur schwerer gebaut und längere Tastenhebel wurden wegen des größeren Anzahl von Saiten gebraucht. Zusammen mit der Länge änderte sich allmälich auch der Gleichgewichtspunkt der Tasten, was das Spiel der Instrumente erleichterte, aber weniger direkt machte.

Clavichord ca. 1780

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Instrumente fast immer bundfrei, sie waren oft sehr groß, relativ lau und mit viel Nachhall. Der Umfang erreichte in einige Fällen sogar 6 Oktaven (CC-c““).

Alle diese Merkmale (und viele andere), die hier in einfacher chronologischer Reihenfolge dargestellt wurden, sind in der Tat eng miteinander und in der Gesamtbalance des Instruments verbunden; aus ihrer Kombination sind sehr unterschiedliche Arten von Clavichord entstanden. Jede Veränderung, ob groß oder klein, wurde sicherlich von dem Wunsch diktiert, das Instrument im Bezug auf praktische, akustische oder musikgeschmackliche Fragen zu verbessern.

Eine Folge dieser langen technischen Entwicklung liegt darin, dass wir alle ca. 50 Jahre mit einer Art von Instrument konfrontiert werden, die besondere Merkmale aufweist. Wie üblich war dies keine lineare Evolution, und in jeder Zeit mangelte es nicht an innovativeren oder konservativeren Instrumente. Es ist auch erwähnenswert, dass es aus klanglicher und musikalischer Sicht in jeder Epoche hervorragende Instrumente gab; einige von ihnen scheinen so erfolgreich, dass sie die ganze Idee einer „Evolution“ als „Fortschritt“ in Frage stellen. Viel mehr fand es im Instrumentenbau ein stets unermüdlicher Wandel statt, der viele verschiedenen Höhepunkte erreichte.

Die musikalischen Folgen dieser Vielfalt an Bauformen sind, dass jedes Instrument auf bestimmte musikalische Bedürfnisse orientiert ist und daher mehr oder weniger zu einem bestimmten Repertoire passt: es liegt auf der Hand, dass zum Beispiel die Kunst der Fuge auf einem Renaissance-Clavichord wegen Umfang, Temperatur und Bindungen tatsächlich unspielbar ist.
Vielleicht weniger offensichtlich ist die Tatsache, dass  auch ein Clavicordo aus dem frühen 19. Jahrhundert sich wenig zur Aufführung kontrapunktischer Musik eignet: obwohl es keine Einschränkungen durch Umfang, Bindungen und Stimmung gibt, ist diese Art von Instruments nicht konzipiert um unabhängige Stimmlinien deutlich zu machen, sondern um sie zu verschmelzen.

Wenn auch vielleicht diese Einschränkungen von einige als schmerzhaft empfunden werden, gibt es dennoch auch eine Kehrseite, die völlig positiv ist: Jedes Instrument hat uns etwas Besonderes zu lehren.
Ein Renaissance-Clavichord, der in Gruppen von 3 und 4 Töne gebunden ist, und oft nur mehr als ein merkwürdiges Spielzeug betrachtet wird, ist zum Beispiel das einzige Tasteninstrument, dass uns auf unsere Artikulation aufmerksam macht, besonders im Bezug auf Legato. Alle Ungenauigkeiten, die auf anderen Instrumenten noch passabel wären, unterstreicht er mit einem metallischen Geräusch. So gewinnt ein korrekter Fingersatz noch mehr an Bedeutung und man ist oft überrascht, wie gut historische Fingersätze auf diese Instrumente funktionieren.

Clavichord mit Pedal

Ich werde oft gefragt, ob es keine Art von Instrument gibt, das alles gleich gut spielen kann; aber die Antwort ist leider negativ: so was gibt es nicht. Aber es gibt wohl Instrumente, die weniger Einschränkungen haben als andere; vielleicht gerade deswegen, weil sie in Epochen entstanden sind, die nicht allzu weit von älteren und neueren Klangidealen entfernt sind. Mein Rat, wenn man ein wenig von allem spielen möchte, ist sich an diatonisch-gebundene Instrumente des 18. Jahrhunderts zu orientieren: sie behalten viele der guten Eigenschaften der älteren Instrumente, aber ohne deren größten Einschränkungen.

Musiker, die sich wirklich für das ältere Repertoire begeistern, sollten dagegen ernsthaft Modellen aus dem 16. oder 17. Jahrhundert in Betracht ziehen: sie sind keine Instrumente, die sich zu einem allgemein gebrauch passen; aber sind sie auch die einzigen, die bestimmte Dinge lehren. Wenn man Leidenschaft dafür hat, wird man sich gewiss auch am meisten freuen.

Wer sich vor allem mit dem Repertoire nach Bach beschäftigen will, soll sich stattdessen auf die großen bundfreien Instrumente des späten 18. Jahrhunderts konzentrieren. Und es sollte gar nicht schwierig sein, denn dies sind auch die beliebtesten und bekanntesten Modelle.

Beim Orgelrepertoire braucht man jedoch nichts mehr als ein einfaches Clavichord, diatonisch gebunden, mit 4 Oktaven oder etwas mehr. Es wäre jedoch angebracht, die Vorteile eines zweiten, mit dem Pedal zu spielenden Instruments zu erwägen. Oder man kann zunächst auch nur das Manualinstrument mit einer angehängte Pedalklaviatur versehen.

Abschließend hoffe ich mindestens einen allgemeinen Überblick über die Geschichte dieses Instruments gegeben zu haben, mit Rücksicht auf die musikalischen Folgen, die technische Änderungen jeweils mit sich gebracht haben.