Clavichorde bewerten

Ich glaube, es sei für Musiker sehr wichtig, die Qualität eines Instrumentes beurteilen zu können. Dies erfordert sicherlich viel direkte Erfahrung und eine gewisse Sensibilität, die wohl nicht bloß durch das Lesen eines kurzen Textes erlangt wird. Ich glaube aber auch, dass es für viele eine große Hilfe sein wird, von Anfang zu wissen was die wichtigsten Aspekte sind und worauf man sich am besten konzentriert.

Ich würde gerne sagen, dass die meisten Clavichorde, die ich spielen durfte ausgezeichnete Instrumente waren; nur entspricht dies nicht die Wahrheit. Diese Instrumente werden von Instrumentenbauern manchmal kalt behandelt, weil sie mehr Probleme als Gewinn bringen: Informationen sind nicht oft reichlich vorhanden und man muss sich auf Erfahrung basieren; aber die Nachfrage ist oft kaum ausreichend um sich gründlich den Problemen dieses Instruments widmen zu können. Wenn man den Profis fragt, wird fast jeder sagen, dass es viel schwieriger ist ein gutes Clavichord zu bauen als ein gutes Cembalo. Und doch wäre kaum jemand bereit, für ein gutes Clavichord so viel zu bezahlen als für ein mittelmäßiges Cembalo. Die Folge ist, dass einige sich schwer tun, diesem Instrument zu viel Energie zu widmen.

Auf der anderen Seite ist es unfair, die Schuld allein auf Instrumentenbauern zu legen, wenn Kunden selbst nicht bereit scheinen, Qualität richtig zu schätzen und zu belohnen: in der landläufige Vorstellung ist das Clavichord ein schlichter rechteckigen Holzkasten mit Tasten, Saiten und wenig mehr. Daher scheint es nicht viel zu brauchen um eins zu bauen und natürlich soll auch der Preis gering sein.
Die Wahrheit ist aber, dass, wenn man tatsächlich nur auf der Suche nach einen „Kasten mit Tasten und Saiten“ ist und sich wenig um die musikalische Seite kümmert, dann braucht es wirklich nicht viel Mühe.

Wenn man aber ein gutes Clavichord will, das heißt, ein Instrument, das auf künstlerischen Ebene inspiriert und auf dem es sich wirklich lohnt, Musik zu machen, dann wird es sehr kompliziert und erfordert Erfahrung und Wissen eines Profis. Dabei ist auch die Mühe nur unwesentlich geringer als bei einem Cembalo.

Aber wie erkennt man ein gutes Clavichord? Die Aspekte, auf die man sich vorerst konzentrieren soll, sind vor allem zwei: Anschlag und Klang. Da man in der Regel nicht so viel Zeit hat, um ein Instrument auszuprobieren, empfehle ich, sich nicht lange mit der Bewertung von Dekoration und Tischlerei zu beschäftigen: erstens, weil man auch ein wenig handwerkliches Können braucht um Bautechnische Aspekte richtig  zu bewerten. Zweitens weil Ästhetik, im Guten sowie im Schlechten, wenig Einfluss auf der musikalischen Qualität eines Instruments hat. Der erste und wichtigste Ratschlag lautet daher: Schließe deine Augen und lass dich von deinen Finger und Ohren führen.

Bezüglich Anschlag, wenn Du noch nie ein Clavichord gespielt hast, würde ich dir empfehlen (wären sie nicht so selten), ein gewiss gutes Instrument auszuprobieren. Was Du dabei spüren wirst, ist der richtige Widerstand der Saiten gegen den Druck deiner Finger in allen Lagen des Instrument. Dieser Widerstand ist an sich gut und notwendig sofern es für einen guten Kontakt zwischen Saite und Tangente sorgt. Leider erscheint denen, die das Instrument nicht gewöhnt sind, den Widerstand oft zu hoch: das Problem ist daher, wie festgestellt werden soll ob es richtig ist.
Die beste Technik am Clavichord ist, das Gewicht des Armes auf den Finger zu übertragen: wenn man auf diese Weise zu spielen versucht, soll die Anstrengung nicht übermäßig sein. Der Klang soll süß, lieblich, klar, mit tiefem Atem sein und eine breite Dynamik ermöglichen, ohne dass die Intonation darunter leidet. Bei gedrückter Taste soll ein Minimum an Elastizität spürbar sein, was dann Vibrato (Bebung) mühelos zu spielen ermöglicht, indem man das Gewicht des Armes moduliert.
Wenn der Widerstand der Saiten zu gering ist, klingt das Instrument mager, fad und schlaff; im Vibrato ist es leicht möglich eine Note sogar um einen halben Ton zu erhöhen, was die dynamischen Möglichkeiten begrenzt und eine reine Intonation kompromittiert. Im schlimmsten Fall ist es im Diskant sogar möglich beim Forte mit den Finger die Saiten vom Steg zu erheben. All dies sind keine gute Signale, denn offensichtlich hat sich der Erbauer wenig über einige grundlegenden Fragen ausgekennt.
Wenn der Klang, nach wiederholten Versuch mit der Technik des Gewichtes, immer noch zu blockieren neigt; wenn die Tangenten wegen der Saitenspannung gegen die Saite zurückprallen oder wenn der Ton gezwungen, sauer und mit wenig Atem klingt, dann ist vielleicht die Besaitung zu Schwer. In diesem Fall spürt man bei gedruckter Taste wenig Elastizität und man scheint auf einem festen Objekt zu ruhen: die Finger kriegen beim spielen fast eine Watsche zurück und das Vibrato ist schwer zu erreichen. Ein Clavichord mit zu viel Spannung ist nicht angenehm, weil der Klang tendenziell verkrampft ist, Saiten oft brechen und zu viel von der Konzentration aufgebraucht wird, bloß um den Klang nicht zu blockieren.

Selbstverständlich ist es auch eine Frage der Gewohnheit und des Geschmacks: was für die einen zu anstrengend ist, ist für die anderen durchaus akzeptabel. Im Allgemeinen ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass man vor einem Instrument mit zu hoher Saitenspannung steht, eher gering. In diesem Fall manchmal genügt es, die Stimmhöhe um etwa einen Halbton zu senken, um eine merkliche Verbesserung zu haben.

Um den Klang bewerten zu können rate ich, sich zuerst gute Aufnahmen alter Instrumenten anzuhören. Ich musste das Adjektiv „gut“ betonen, weil ich leider auch schon Aufnahmen von Instrumenten im nicht optimalen Zustand hörte. Die problematischsten Instrumente waren, wie sonst oft, die ältesten: da sie wenig bekannt sind, kennen sich selbst Fachleute ungenügend aus. Aus diesem Grund musste ich schon Aufnahmen von Renaissance-Clavichorden hören, wo das Instrument zwischen Tastengeräusch, leichte Besaitung und ungeeignete Spieltechnik wie eine Kiste voller Grillen zu zirpen schien. Suche nach einer guten Aufnahme und Du wirst es nicht bereuen: du wirst hören, wie süß, warm, deutlich, eindringlich und resonant diese Instrumente klingen und wie sie einen tiefen Atem zu haben scheinen.

Jacob Adlung charakterisierte ein gutes Clavichord mit diesen Worte:  „Ein Clavichord soll stark klingen, jedoch aber nicht so pochend, sondern lieblich, auf Harfenart.. Es soll auch lieblich und lange nachklingen„. Es ist keine besonders lange oder komplizierte Beschreibung, aber er trifft dennoch wie kein anderer den Nagel auf dem Kopf.
Zunächst soll also ein Clavichord laut klingen: flüsternden Instrumente, die man relativ oft begegnet, sollte man also nicht hoch einschätzen. Stark ist sicherlich relativ gemeint, denn es liegt auf der Hand dass kein Clavichord die Orgel des Freiberger Doms übertönen kann. Die absoluten Dezibel spielen jedoch keine Rolle, denn wir nehmen einen intensiven und gut strukturierten Klang ohne jegliche Anstreungung wahr, daher das Gefühl es sei tatsächlich laut. Ein gutes Clavichord, muss in einem großen Zimmer gut und deutlich hörbar sein. Praktisch sollte es idealerweise in der Lage sein, eine Flöte oder ein Geige mit Sordino zu begleiten.

Das zweite Problem ist subtiler und hier liegt Adlung auch richtig: aufgrund der Art und Weise der Klangerzeugung, wenn man versucht die Lautstärke zu maximieren, wird oft zugleich auch das Geräusch erhöht. Auf dieser Weise bekommt manchmal das Instrument durch den Anschlaggeräusch einen unangenehmen perkussiven Charakter. Der Tenor ist für dieses Problem wohl am empfindlichsten.

Der Klang eines clavichordes muss also an einer Harfe oder Laute erinnern, und tatsächlich haben gute historischen Instrumente ein solches Charakter. Der Klang ist zwar kernig, aber süß, hohl und schön resonant: man hört viel vom Klang des Holzes, während das Metall der Saiten ganz im Hintergrund bleibt. So wird jede Note zur Perle einer Kette, wie es C. P. E. Bach schön ausgedrückt hat. Wenn man andererseits das Metall mehr spürt, als man das Holz wahrnehmen kann und der Klang verkrampft oder schlaff, sauer, dünn, atemlos und mit einer reichen inharmonischen Komponente ist, so ist das Instrument wohl nichts besonderes.

Letzter Aspekt ist Klangdauer und dies steht schon wieder im Gegensatz zu anderen Elementen: je effizienter die Energieausstrahlung (hohes Schallvolumen), desto mehr Energie wird rasch durch das Resonanzboden aufgebraucht. Aber da am Clavichord die Energie, die man durch die Tangente erzeugt, sehr gering ist, ist das Gleichgewicht von Elementen wie Lautstärke, „Perkussivität“ und Klangdauer viel kritischer als bei anderen Tasteninstrumente.
Aus diesem Grund weist Adlung in der Fortsetzung auch darauf hin, dass es schwierig sei, ein gutes Clavichord zu bauen. Da jeder Teil dieses scheinbar einfachen Instruments gleich mehre Funktionen hat, wenn man auch nur ein Element falsch macht, ist oft das gesamte Instrument gefährdet. Wenn ein Cembalo oder ein Klavier nicht ganz optimal gebaut ist, wird es meistens doch passabel; ein Clavichord mit nur kleine Mängel flüstert oft wie ein „Kasten mit Tasten und Saiten“.

Vielleicht hat man bemerkt dass ich ein sehr oft erwähntes Aspekt ausgelassen habe: die Balance zwischen den verschiedenen Stimmlagen des Instruments. Das habe ich deswegen getan, weil es ein wenig Vertiefung braucht: es stimmt, dass ein „Loch“ in einem Register als Mangel anzusehen ist; andererseits bin ich aber nicht überzeugt dass alle Instrumente so konzipiert waren, dass sie in allen Stimmlagen einen richtig homogenen Klang ergaben. Einige gute Clavichorde sind in einige Bereiche farbiger und prompter und dies könnte durchaus eine gezielte Charakterisierung; zumal wenn man bedenkt dass auch Orgelregistern, Menschenstimmen sowie die meisten Instrumenten, wohl nicht in alle Lagen gleichmäßig klingen. Am Clavichord stört dies auch nicht wirklich, denn durch Dynamik kann man beliebig unterstreichen was man möchte.

Das waren aber alle nur technische Aspekte. Ein Musikinstrument ist für einen Musiker aber fast wie ein Teil seines Körper und es soll daher auch dem Geist ansprechen, sonst bleibt es nur eine plumpe Prothese. Wenn man wissen will, ob ein Musikinstrument einen guten Charakter hat, sollst man vorerst zu improvisieren beginnen: wenn man nicht einen zu definierten musikalischen Inhalt aufzuzwingen versucht, kann man am besten hören, wohin das Instrument uns führt. Ich bin leider ein eher schlechter Improvisator, denn in meiner musikalischen Ausbildung wurde diese Fähigkeit immer vernachlässigt, was ich heute sehr bereue. Aber in diesem Fall ist es kein Nachteil: wenn meine Improvisationen interessant klingen, dann weiß ich, dass das Instrument notwendigerweise schön ist; wenn sie trivial klingen, dann ist es nichts besonderes. Der Unterschied liegt in der Qualität des Instruments, wie wenn verschiedene Schauspieler den gleichen Text lesen.

Wenn man sich vor einem Clavichord ganz offen stellt, kann man sehen, ob es musikalische Ideen inspiriert oder nicht; und ob es unsere Anstrengung belohnt oder demütigt. Während die besten Instrumente so charmant und faszinierend sind, dass auch die bescheidensten musikalischen Gedanken interessant erscheinen, tut ein schlechtes Instrument nichts anderes, als unsere besten Bemühungen zu blamieren.
Ein gutes Instrument schenkt Vertrauen beim improvisieren, denn keine Passage klingt wirklich falsch und man kann auch in heikle harmonischen oder melodischen Situationen ein Ausweg finden. Und gleichzeitig bezaubert es unsere Ohren, so dass man stundenlang spielen und improvisieren würde, ohne müde zu werden. Im Wesentlichen ermutigen uns vortreffliche Instrumente zum Improvisieren, weil sie Phantasie erregen und Ängste abwehren.

Die Situation kehrt sich bei mittelmäßigen Instrumente um, die jeden Fehler in unserer Ausführung bloßstellen zu wollen scheinen. Am Ende fühlt man sich so niedergeschlagen, als wurde man gemobbt. Je länger man spielt, desto weniger wird unser Geist mit einem langweiligen und leblosen Klang etwas anfangen wollen; wenn wir doch weitermachen geht er einfach in „Schlafmodus“, was die Aufgabe eines Musikers noch schwieriger macht.

Damit hoffe ich, einige Hinweise gegeben zu haben, wie man den musikalischen Wert eines Clavichord beurteilt. Vieles wird anfänglich nicht klar sein oder gar seltsam klingen. Seid mir aber gnädig, denn dies ist wohl kein einfaches Thema und andererseits mit ausreichender Erfahrung wird man verstehen was ich jetzt hier meine.